Das Leben und Überleben in grauer Vorzeit
Vor 11.500 Jahren mitten in Deutschland: Ravan, die junge Vogelfrau der Eschenleute, kämpft gegen den Schamanen Godain, der die Macht der Großen Mutter nicht anerkennt. Sie verstößt ihn aus dem Stamm, obwohl sie ihn liebt. Plötzlich bebt die Erde, eine Katastrophe kündigt sich an. Nur gemeinsam können Ravan und Godain ihr Volk retten. (Verlagsinfo)
Nach Jean M. Auel einen Roman zu schreiben, der in grauer Vorzeit spielt, ist kein einfaches Unterfangen. Schließlich hat die Amerikanerin Maßstäbe gesetzt. Regine Leisner ist es dennoch gelungen, eine Protagonistin zu schaffen, die so gar nichts gemeinsam hat mit der blonden Überheldin Ayla, und ein packendes Szenario entwerfen, das noch dazu auf einem erwiesenen realen Hintergrund beruht.
Die Frauen haben die Wahl
Im Alter von Jahren 14 Jahren wird Kini von den Eschenleuten zur Vogelfrau geweiht. Neben den Alten Müttern bestimmen diese Frauen das Geschick der Sippe. Es ist eine matriachalische Gesellschaft, in der die Männer eine untergeordnete Rolle spielen. Den Frauen gehören die festen Wohnplätze in der Höhle. Sie wählen sich ihren Gefährten aus. „Die Männer machen sich nichts aus festen Plätzen, das wissen wir doch. Sie wandern. Sie kennen es gar nicht anders und wollen es auch nicht anders. Die Große Frau hat es so eingerichtet,“ erklärt die Vogelfrau Siwann den Unterschied zwischen den Geschlechtern.
Doch eine Veränderung zeichnet sich ab – vorerst in der Person des Schamanen Godain und seiner Gedanken über eine neue Rolle der Männer. Ravan, wie Kini jetzt heißt, fühlt sich von ihm angezogen. Doch eine Vogelfrau lebt ohne Gefährten…
Intensive Schilderung der steinzeitlichen Lebensbedingungen
Regine Leisner schreibt anschaulich und fesselnd. Im Gegensatz zu Jean M. Auel gibt es keine langen Schilderungen der Landschaft, der Werkzeugherstellung oder der Jagd. Leisner webt statt dessen Details dazu geschickt in die Handlung ein, so dass der Spannungsbogen nie abreißt. Gleichzeitig sind ihre Schilderungen der Lebensbedingungen außerordentlich intensiv.
Das Leben der „Rabenfrau“ spielt sich auf heutigem deutschen Boden ab – in der Region von Main und Fichtelgebirge vor rund 11.500 Jahren. Das sind Jahre später als Aylas Abenteuer. So ist der Speerwerfer eine eingeführte Jagdwaffe, ja es gibt bereits Pfeil und Bogen. Aber immer noch ernähren sich die Menschen von dem, was die Natur ihnen bietet: Früchte, Samen, Tiere. Und wenn der Rhythmus der Jahreszeiten durcheinander gerät, dann ist das Überleben der steinzeitlichen Menschen gefährdet.
Vulkanausbruch – historisch verbürgtes Ereignis
Ein Vulkanausbruch versetzt die Menschen in Angst und Schrecken. Im Westen ist der Himmel rot, Hitze und Ascheregen erreichen die Höhle der Eschenleute. Es ist der Ausbruch des Laacher Vulkans am Rhein – ein Ereignis, dass von Archäologen anhand dendrologischer Untersuchungen nachgewiesen wurde. Und seine Auswirkungen bis nach Norwegen. Bis zu 40 Kilometer hoch wurde die Lava geschleudert, der Himmel verdunkelte sich, Schlammregen machte das Land unfruchtbar. Ein Ereignis, das auch heute die Menschen in Panik versetzen würde. Für die Eschenleute war es ein Zeichen. Das Zeichen, dass Vairani, die Feuerfrau, ihnen zürnt. Aber ebenso der Geweihmann, der durch den Schamanen Godain.
„Die alte Ordnung zerbricht, und das ist einerseits schade, denn unter der Herrschaft der Mütter ging es uns nicht schlecht, unser Leben war gesichert.“
Worte des Schamanen
Weiter: „Andererseits hat der Geweihmann recht: Es ist Zeit für eine Veränderung; die Stimmen der Männer sollten in der Sippe mehr Gewicht erhalten. Die Alte Ordnung ist nur eine von vielen Arten, wie man das Leben in der Gemeinschaft regeln kann,“ erklärt der Schamane Asko den verunsicherten Mitgliedern der Sippe, die auf der Flucht sind, um den zweiten Ausbruch des Vulkans zu überstehen. Ein harter Überlebenskampf beginnt – und er macht neue Formen des Zusammenlebens nötig.
Fazit
Es ist ein überzeugendes Szenario, das Regine Leisner entworfen hat. Ein empfehlenswertes Buch – nicht nur für Fans der Vorzeit.
Regine Leisner, „Die Rabenfrau“
442 Seiten, 8.95 Euro, Ullstein TB,VÖÄ 12. Juni 2008