Überleben in den USA im 21. Jahrhundert ◾️
Sie nennen sich Vandweller*, eine traditionelle Bezeichnung für Menschen in den USA, die ihr Leben teilweise oder in Gänze mobil verbringen. Wohlhabende Zeitgenossen reisen teilweise mit riesigen Fifth-Wheelern* oder Motorhomes mit einem Pick-up an der Deichsel hinterher. Aber es gibt auch mobile Nomaden, denen das mangelhafte Sozialsystem der USA, der üble Immobilien-Chrash oder der Börsenkrach von 2008 die Ersparnisse oder Altersversorgung gestohlen haben. Die dadurch letztlich gezwungen wurden, große Kostenblöcke des Alltagslebens wegzuschrumpfen. In der Regel ist das die Wohnungsmiete oder die Rate für die Gebäude-Hypothek.
Die Journalistin Jessica Bruder hat Workcamper, die aus blanker Not ihren Wohnsitz auf Räder verlegen mussten, über Jahre mit ihrem Van begleitet, und damit nicht nur ein detailliertes Spiegelbild dieser aus vielen tausend Menschen bestehenden sozialen Gruppe geliefert, sondern auch die Vorlage für den Oscar-prämierten Film „Nomadland“.
Workcamper leben in Wohnmobilen, Vans, Caravans oder auch Pkws. Sie übernachten auf Walmart-Parkplätzen, neben Highways, auf Campingplätzen oder freigegebenen kommunalen Flächen, aber auch in der Wüste. Letzteres jedenfalls im Winter, wenn Jobs für Vandweller knapp sind und sie die Zeit bis zum nächsten Job absitzen. Denn in den kalten Regionen der Staaten wird es sonst wegen der Heizkosten teuer.
> Vandweller (Vandwelling) / setzt sich zusammen aus Van (Bus) und Welling (Wohnen) = ganz oder zeitweise Leben im Van > Fifth-Wheeler = großer Wohnanhänger, der an einen Pick up oder eine Zugmaschine angehängt wird > Workcamper = Mit dem Wohnmobil zur Arbeit (Filmreportage)
Der Arbeitsmarkt hat sich in den USA gut auf diese überwiegend älteren Arbeitnehmer eingestellt. Amazon hat gar eine sogenannte Camperforce gegründet, mietet Campingplätze in der Nähe große Lager an, plant gar, eigene Flächen zur Unterbringung der Workcamper umzubauen. Die staatlichen Campingplätze in den Naturparks werden überwiegend von Workcampern betreut und auch die Zuckerrübenindustrie hat sich auf mobile Arbeitnehmer eingestellt.
Überwiegend toughe Jobs, die auf die Knochen gehen und selten besser als Mindestlohn dotiert sind
Wer zum Leben als Workcamper wirtschaftlich gezwungen ist, hat es sicher nicht einfach, andererseits – und Jessica Bruder schildert das sehr ausgewogen – gibt diese von der breiten Gesellschaft nur wenig akzeptierte Lebensform auch ein Stück Freiheit für die Betroffenen zurück. Oder wie Linda, eine der Protagonisten sagt: Mein privater Lebensraum wurde wieder größer als die Couch in der Familie meiner Tochter.
„Das bemerkenswerte dort ist die große Gemeinschaft der Vandweller, die unabhängig von den unterschiedlich sozialen Lebensbedingungen, gut miteinander auskommen.“
Jessica Bruder
Jobs würde es genug für die Workcamper geben, saisonabhängig in verschiedenen Regionen und mit verschiedenen Tätigkeiten, aber letztlich ausreichend, um das Leben in einem Van oder Caravan finanzieren zu können. Im Winter, und auch das beschreibt die Autorin sehr bildhaft, treffen sich viele der Vandweller in Quartzsite. Einem eigentlich kleinen Ort in der Wüste zwischen Phoenix/Arizona und Los Angeles gelegen, der durch die mobilen Gäste auf bis zu 40.000 Vans, Caravans, Fifth-Wheeler, Motorhomes, Pkw und Zelte anwächst.
Fazit:
Jessica Bruder ist es mit ihrem Buch „Nomaden der Arbeit“ gelungen, eine gesellschaftliche Gruppe in den USA ins Licht der Öffentlichkeit zu tragen, deren Existenz bislang eher schamhaft wahrgenommen worden ist. Ihr Buch beleuchtet zum einen die riesigen Löcher im amerikanischen Sozialsystem, zeigt aber auch einen alternativen Lebensweg zum amerikanischen Modell, dessen Zentrum im hemmungslosen Konsum zu sehen ist. Ein sehr lesenswertes Buch.
„Nomaden der Arbeit“, Jessica Bruder, aus dem Amerikanischen von Teja Schwaner
384 Seiten, 22 Euro, Karl Blessing Verlag, VÖ 22. April 2019