Hauke Sötje 4 ◾️
Hamburg 1896: Der Sohn des wohlhabenden Kaffeehändlers Bellingrodt wird tot in der Elbe gefunden. Als Kommissar Hauke Sötje den Eltern die traurige Nachricht überbringt, gerät er in ein gefährliches Geflecht aus Macht, Gier und falscher Liebe. Zu allem Überfluss bittet ihn seine Verlobte Sophie, eine vermisste junge Frau und ihr Kind in der Stadt zu finden. Man hatte die beiden zuletzt vor der Villa der Bellingrodts gesehen … (Verlagsinfo)
Es ist der vierte Fall für Hauke Sötje. Dieses Mal führt ein Vorfall auf dem Nord-Ostsee-Kanal den Kieler Ermittler nach Hamburg. Nach drei Fällen am Nord-Ostsee-Kanal ist dieses Mal die Hamburger Speicherstadt im Jahre 1896 sein Einsatzort. „So viele Leichen kann ich gar nicht im Kanal versenken“, lacht Anja Marschall auf die Frage, warum sie einen neuen Schauplatz gewählt hat.
Feuer in der Hafenstadt / Fortunas Schatten (2012)
Tod am Nord-Ostseekanal (2016)
Verrat am Kaiser-Wilhelm-Kanal (2018)
Die Autorin aus Wewelsfleth hat zahlreiche Details wieder akribisch recherchiert und lässt die historischen Details gekonnt einfließen.
„Bei mir sind die Kulisse und die Zeit wichtige Protagonisten. Sonst wäre die Geschichte auswechselbar.“
Anja Marschall über ihre Hauke-Sötje-Krimis
Allerdings bedeutet dieser Anspruch ausführliche Vorarbeit. „Ich recherchiere mindestens sechs Monate. Sechs weitere Monate schreibe ich.“ So hat sie im Hamburger Staatsarchiv Originaldokumente aus der Zeit um 1900 eingesehen. Und die Commerzbibliothek lobt sie als eine der besten Bibliotheken zum Thema Wirtschaft.
Auch in Zeitungsarchiven geht Anja Marschall auf die Suche – denn jedem Kapitel ist ein Zitat aus einer Zeitung jener Zeit vorangestellt. Ein Markenzeichen ihrer Hauke-Sötje-Krimis, das von den Lesern begeistert aufgenommen wird.
Heiratsannoce aus dem Jahre 1896
So inserierte beispielsweise am 8. September 1896 ein junger Geschäftsmann in den „Hamburger Nachrichten“, dass er sich „mit einer gebildeten, häuslich erzogenen Dame im Alter von 22 – 26 Jahren zu verheirathen“ möchte. „Mark 13-20.000 Vermögen erwünscht.“ Das werfe ein bezeichnendes Bild auf die Rolle der Frau, meint die Schriftstellerin, die Sötjes Verlobte Sophie immer stärker in die Ermittlungen einbezieht.
Ermittlungen in der Speicherstadt
Die Speicherstadt ist der gebürtigen Hamburgerin gut bekannt. Sie hat schon im Speicherstadtmuseum gelesen. Darum war es ihr eine Herzensangelegenheit, einen Krimi dort anzusiedeln: Weil ein Rendsburger Polizeibeamter bei der Explosion auf einem Schiff ums Leben gekommen ist, führt der Weg den Kieler Kommissar Sötje nach Hamburg. Dort muss er sich mit Zollbestimmungen und den Eigenheiten der Speicherstadt auseinandersetzen.
Info Seit Juli 2015 ist die Speicherstadt zusammen mit dem Kontorhausviertel inklusive Chilehaus Deutschlands 40. UNESCO-Weltkulturerbe. Die Speicherstadt ist das größte Lagerhausensemble der Welt und erstreckt sich auf rund 26 Hektar zwischen Baumwall und Oberhafen. Der Komplex wurde zwischen 1883 und dem Ende der 1920er Jahre auf tausenden Eichenpfählen gebaut und steht seit 1991 unter Denkmalschutz. Seit 2008 gehört die Speicherstadt verwaltungstechnisch zum Neubaugebiet de HafenCity im Bezirk Hamburg-Mitte, die durch die überwiegende Verwendung zeitgemäßer Baumaterialien wie Glas und Stahl moderne Akzente setzt. Quelle: https://www.hamburg.de/sehenswuerdigkeiten/4511364/speicherstadt/
Keine einfache Thematik, die Anja Marschall aber geschickt in den Krimi integriert und die Arbeitsverhältnisse im Hafen anschaulich schildert. Schließlich fand sie im Weltkulturerbe Speicherstadt viel Recherchematerial. „Ich habe selten so viel Material zu einem Thema gefunden“, sagt sie im Gespräch mit der Norddeutschen Rundschau. Allein 52 Fachbücher hat sie intensiv gewälzt – „nur ein Bruchteil von dem, was ich hätte wälzen können“.
Außerdem hat Anja Marschall historisch belegte Figuren in die Handlung integriert. Polizeirat Gustav Roscher hat es tatsächlich gegeben. Er war der der erste Kriminalrat der Stadt war und hat die Hamburger Kripo aufgebaut hat. Er richtete seinerzeit das europaweit größte Archiv mit Verbrecherfotos ein.
Info In Roschers Tätigkeit fällt der Hamburger Hafenarbeiterstreik 1896/97 Zeitweise streikten bis zu 16.000 Arbeiter. Roscher empfahl in einer Denkschrift die bessere Entlohnung für die körperlich schwere Arbeit und die Abstellung weiterer Missstände. 1897 wurde ein Kriminalmuseum, eine Bibliothek mit Fachliteratur und ein kriminaltechnisches Laboratorium eröffnet. Ab 1. Februar 1900 bekleidete Roscher das Amt des Polizeidirektors, das 1912 in „Polizeipräsident“ umbenannt wurde. 1903 führte er die Daktyloskopie ein, die als Fingerabdruckverfahren das anthropometrische System zur Personenidentifizierung ersetzte. Roscher verfasste über die Großstadtpolizei und die Daktyloskopie Standardwerke. So legte er das Polizeihandbuch „Großstadtpolizei“ auf. „Da die Bilder vieler Verbrecher infolge ihres wüsten und unanständigen Lebens bald unähnlich werden, so ist bei ihnen häufiges Photographieren angezeigt“, schrieb Roscher beispielsweise und setzte damit neue Akzente. Die Tatortphotographie bezeichnete er als „anschauliches Bild des Tatherganges“.
Außerdem hat sich Anja Marschall mit der Vizeweltmeisterin der Kaffeeröster unterhalten und Seminare über Kaffee besucht. „Das Buch hat mein Leben verändert, auf alle Fälle meinen Kaffeegenuss.“
Der Spannungsbogen hält bis zur letzten Seite. Die gesellschaftlichen Gepflogenheiten der Kaufmannschaft wie die Lebensbedingungen der einfachen Leute spielen eine Rolle. Und Sophie, Haukes Verlobte, emanzipiert sich und ermittelt auf eigene Faust.
Fazit
Dieses Buch ist wie eine Zeitreise – man taucht tief ein in die Welt des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Sehr empfehlenswert.
„Tod in der Speicherstadt“, Anja Marschall, Hauke Sötje 3. Fall
334 Seiten, 13 Euro, emons Verlag, VÖ 17. Oktober 2019
Aufmacherfoto: Frauke Ibs