
Lu ist smart, schnell und als Anwältin in einer Top-Kanzlei supererfolgreich. Doch dann stirbt ihr großer Bruder Pip und mit einem Mal weiß Lu nicht mehr, wo oben und unten ist. In Pips Gartenlaube will sie sich erst nur verkriechen, doch dann wird es Frühling. Die Natur erwacht, und während Lu in der Erde wühlt, entdeckt sie nicht nur, dass Glück etwas ist, das man mit den Händen greifen kann. Sondern auch, was sie vom Leben wirklich will. (Verlagsinfo)
Och nö, noch ein Schrebergartenbuch, war meine erste Reaktion. Und nach den ersten 50 Seiten hatte ich den Eindruck: Alles schon mal gelesen. Der Schrebergarten als Ort der Besinnung, die Arbeit in der Natur und mit den Händen, die zu der Erkenntnis führt, dass das bisherige Leben nicht erfüllend war und so weiter.
Ein etwas anderes Schrebergartenbuch
Das Ende war natürlich auch entsprechend – Louise, genannt Lu, krempelt ihr Leben komplett um. Doch es gibt zwei Komponenten, in denen sich das Buch von ähnlichen Romanen unterscheidet.
Da ist zum einen die Beschreibung von Lus Arbeitsleben. Als Anwältin agiert sie in der Oberliga. Das bedeutet viel Renommee, aber auch viel Arbeit. Sehr, sehr viel Arbeit. Bei der Beschreibung ihres Alltags wird einem beim Lesen fast schwindelig und drängt sich die Frage auf: Warum tut sie (man) sich das an? Es ist eine gut bezahlte Extremsituation, aber wie sie am Ende feststellt, unterscheidet sich diese nicht von vielen anderen Hamsterrädern:
„Mein Leben besteht darin, anderer Leute Ansprüche zu erfüllen. Alle wollen was von mir. Kunden und Mitarbeiter bestimmen meinen Tag. Ich mache nur, was andere sagen. Ich bin in keiner Sekunde eins mit mir.“
Allerdings dauert es bis zum letzten Drittel, bis Lu zu dieser Erkenntnis kommt. Vielleicht hätte es schneller gehen können, aber Emma Sternberg macht an vielen Beispielen deutlich, wie schwer sein kann, bis man erkennt, was einen wirklich zufrieden sein lässt. Außerdem geht es darum, wie sich das Land- und Stadtleben unterscheiden, wie wichtig Gemeinschaft ist. Ein weiterer Punkt: Die moderne Landwirtschaft und ihre Folgen.
Anfangs tut sich die Top-Anwälting sehr schwer mit dem einfachen Leben in dem Gartenhäuschen mit Holzofen, vermisst ihre komfortable Berliner Wohnung.
„Das also soll das ach so tolle »einfache Leben« sein, von dem alle immer schwärmen? Wenn dem so ist, dann bevorzuge ich es doch eindeutig kompliziert. Kompliziert: mit vorgewärmten Handtüchern und programmierbarer Zentralheizung, mit der Putzfrau, die stets kommt und geht, während ich nicht zu Hause bin, mit Coffee-to-go und Sushi vom Lieferdienst.“
Auch mit der Pflanzenwelt steht sie auf Kriegsfuß. Sie soll Kräuter einpflanzen? Ihre Reaktion:
„… bei mir ist noch jeder Blumentopf binnen vier Stunden eingegangen, ich habe überhaupt keine Zeit für so was. Ich besitze einen schwarzen Daumen, die Dinger sind auf dem Kompost besser aufgehoben als bei mir.“
Nach und nach sowie durch YouTube-Videos und Google-Suchanfragen erweitert Lu ihr Gartenwissen, unterstützt von ihrer Gartennachbarin Nele. Diese möchte einen Onlineshop mit Kräuter-Tees eröffnen. Als es Schwierigkeiten gibt, läuft Lu wieder zu Hochform auf. Dieser Teil der Geschichte hat mich besonders überzeugt und mir sehr gefallen.
Es gibt auch eine Liebesgeschichte, doch sie dominiert nicht, was sehr angenehm ist.
Fazit
Vielleicht fällt das Hoch auf das Landleben ein wenig zu euphorisch aus, vielleicht sind die Beschreibungen aus dem Anwaltsleben etwas zu ausführlich. Aber die zweite Hälfte mit der Auseinandersetzung zwischen Natur und Landwirtschaft ist das große Plus dieses Buches.
„Ein Garten für zwei“, Emma Sternberg
332 Seiten, 10.99 Euro, Heyne TB, VÖ 10. Mai 2021