Rezension – Frances Hodgson Burnett: Der geheime Garten

Bewertung: 5 von 5.

Nach dem Tod ihrer Eltern kommt Mary in das geheimnisvolle Haus ihres Onkels nach England. Dort erfährt sie von einem verschlossenen Garten, den seit zehn Jahren niemand betreten hat, und macht sich auf die Suche nach dem Schlüssel. Was sie findet, ist weitaus mehr als irgendein Garten. Gemeinsam mit ihrem Cousin Colin und ihrem Freund Dickon entdeckt sie eine Welt für sich, die nicht nur ihr Leben von Grund auf verändert. (Verlagsinfo)

Das Buch ist ein Klassiker. Veröffentlicht wurde es erstmal 1911. Doch zahlreiche der angesprochenen Themen sind immer noch aktuell. 

Suche nach Geheimnissen

Kinder lieben Geheimnisse. Auch auf Erwachsene üben sie eine große Anziehungskraft aus. Ein geheimer Garten – das klang damals spannend und heute ebenso. Das Buch gilt als Kinder- und Jugendroman. Doch ich habe es zum erneuten Male gerne und voller Faszination gelesen. Dabei verändert sich der Blickwinkel mit den Jahren. Begeisterte mich als Jugendliche vor allem das Geheimnis, waren es jetzt die Themen Zusammenhalt und Achtsamkeit.

Zusammenhalt

Einsamkeit und Freundschaft – zwei Aspekte, die im Zentrum des Buches stehen. Mary ist einsam, wird von der Mutter nicht geliebt und in Indien Kindermädchen überlassen. Auch auf dem Schloss ihres Onkels ist sie allein. Der Onkel will sie nicht sehen, die Haushälterin hat kein Interesse … Ähnlich verhält es sich mit ihrem kranken Cousin, der allein in einem Zimmer, nur von Krankenschwestern betreut, ein armseliges Leben führt. Es grenzt an seelische Verwahrlosung, wie diese Kinder nicht beachtet und ihre Bedürfnisse nach Liebe und Aufmerksamkeit missachtet werden. In ihrer rigorosen Art reißt Mary ihren Cousin Colin aus seinem Selbstmitleid und gemeinsam mit Dickon entdecken die beiden die Welt außerhalb des Schlosses. Ihre Freundschaft verwandelt sie. Aber nicht nur diese.

Bild aus dem Film von 2020.

Heilsame Wirkung von Gartenarbeit

Gleichzeitig beschreibt die Autorin die heilsame Wirkung von Gartenarbeit und von Achtsamkeit – wobei sie letztere nicht mit diesem Wort belegt, denn das war vor gut hundert Jahren noch nicht im gängigen Gebrauch. Aber die Kinder widmen sich mit Sorgfalt den Pflanzen und Tieren. Dabei gesunden sie an Geist und Körper. Mit diesen Erkenntnissen war Frances Hodgson Burnett ihrer Zeit weit voraus. Nur manchmal wird sie ein bisschen moralisierend, was aber angesichts des Zeitpunktes der Entstehung akzeptabel ist.

Die Autorin

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wird vielen nichts sagen. Dabei stammt der Klassiker „Der kleine Lord“ von der englischen Autorin, die im Alter von 21 Jahren mit ihrer Familie in die USA auswanderte, wo sie auch starb. Sie hat weitaus mehr Bücher geschrieben, als ins Deutsche übersetzt worden sind. Neben dem „Kleinen Lord“ zählt der „Geheime Garten“ hierzulande zu ihren bekanntesten Büchern und ist ebenfalls ein Klassiker.

Übersetzung

Es gibt das Buch in zahlreichen Auflagen, mit unterschiedlichen Illustrationen. Darunter sind etliche, die für die Zeichnungen sehr gelobt werden. Was ein bisschen zu kurz kommt, ist die Bewertung der Übersetzung. Es gibt zum Beispiel ein kostenloses BoD bei Amazon, das sprachlich aber sprachlich ein bisschen hölzern daherkommt. Ich zitiere an dieser Stelle darauf, weil es das Exemplar ist, das ich aktuell gelesen habe. 

Beispiel 1

„Mary hatte ihre Mutter gern aus der Ferne angesehen und sie für sehr hübsch gehalten, aber da sie sehr wenig von ihr wußte, konnte man kaum erwarten, daß sie sie liebte oder sehr vermißte, als sie fort war. Sie vermißte sie überhaupt nicht und da sie ein selbstsüchtiges Kind war, dachte sie ausschließlich an sich selbst, so wie sie es immer getan hatte.“ (Ungekürzte Ausgabe, Maria Weber, © Books on Demand 2019)

„Mary hatte ihre Mutter immer gern aus der Ferne betrachtet und sie sehr hübsch gefunden, aber weil sie sie kaum kannte, war nicht damit zu rechnen, dass sie sie liebte oder sie sehr vermissen würde, wenn sie nicht mehr da war. Sie vermisste sie in der Tat überhaupt nicht, und weil sie ein selbstsüchtiges Kind war, dachte sie einzig und allein an sich, so wie sie es immer getan hatte.“ (Andere Übersetzung)

“Mary had liked to look at her mother from a distance and she had thought her very pretty, but as she knew very little of her she could scarcely have been expected to love her or to miss her very much when she was gone. She did not miss her at all, in fact, and as she was a self-absorbed child she gave her entire thought to herself, as she had always done.“ (Englisches Original)

Beispiel 2

„Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals irgend etwas anderes als die dunklen Gesichter ihrer Ayah und der anderen einheimischen Diener gesehen zu haben, und da sie ihr immer gehorchten und ihr in allem willfuhren, denn die Memsahib pflegte wütend zu werden, wenn sie durch ihr Weinen gestört würde, war sie zu dem Zeitpunkt, als sie sechs Jahre alt war, so tyrannisch und selbstsüchtig wie ein Kind nur sein konnte.“  (Maria Weber, BoD) 

„Einzig vertraut waren ihr die dunklen Gesichter ihrer Ayah und der anderen indischen Dienstboten, und weil diese ihr immer gehorchten und ihr bei allem ihren Willen ließen, da die Herrin verärgert gewesen wäre, wenn das Geschrei des Kindes sie gestört hätte, war sie mit sechs Jahren das tyrannischste und selbstsüchtigste kleine Gör, das die Welt je gesehen hatte.“  (Übersetzung Felix Mayer im Anadonda Verlag / Penguin Randomhouse)

„She never remembered seeing familiarly anything but the dark faces of her Ayah and the other native servants, and as they always obeyed her and gave her her own way in everything, because the Mem Sahib would be angry if she was disturbed by her crying, by the time she was six years old she was as tyrannical and selfish a little pig as ever lived.” (Original)

Die Filme

Das Kinderbuch ist mehrfach verfilmt worden. Die neueste Version hat nicht überall Anklang gefunden, denn sie enthält einige Details, die im Buch nicht vorkommen. Mich hat das nicht gestört, denn die bildliche Umsetzung ist großartig ebenso wie Dixie Egerickx in der Rolle der Mary Lennox.

Fazit

Der Klassiker von Frances Hodgson Burnetts gehört seit fast hundert Jahren zu den beliebtesten Werken der Kinderliteratur. Nicht nur das: Auch für Erwachsene ist es immer noch ein Vergnügen, diese Geschichte zu lesen. Wichtig ist dabei allerdings, dass es sich um eine neuere Übersetzung handelt.

„Der geheime Garten“, Frances Hodgson Burnett

 Übersetzung Michael Stehle, Illustrationen Inga Moore – dies ist die neueste Version auf Deutsch

279 Seiten, 26 Euro, Verlag Urachhaus, VÖ 1. März 2021

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