Porträt: Vita Sackville-West – eine außergewöhnliche Frau

Ein Leben zwischen Garten, Büchern und Geliebten ◾️ 

Sie war eine imposante Erscheinung: Groß, schlank, dunkle Augen, dazu der Habitus einer Aristokratin. Aber es war und ist nicht nur das Äußere von Vita Sackville-West, das fasziniert. Ihre unkonventionelle Ehe mit Harold Nicolson, ihre leidenschaftlichen Liebschaften, ihre zahlreichen Reisen bieten Stoff für mehr als einen Roman. Sie selber hat seit ihrer frühesten Kindheit geschrieben und war zu ihrer Zeit mit rund 60 veröffentlichten Werken eine erfolgreiche Autorin. Doch nicht dadurch ist Vita Sackville-West der Nachwelt in Erinnerung geblieben, sondern durch ihren wundervollen Garten in Sissinghurst – und durch ihre Liebesbeziehung zur Schriftstellerin Virginia Woolf. 

„Als ich den Ort an einem Frühlingstag des Jahres 1930 zum ersten Mal sah, entflammte er augenblicklich mein Herz und meine Phantasie. Ich habe mich auf den ersten Blick in ihn verliebt. Und ich wusste, was man daraus machen konnte. Es war Dornröschens Garten: aber ein Garten, der nach Befreiung schrie“, 

notiert Vita Sackville-West zwanzig Jahre, nachdem sie Sissinghurst das erste Mal gesehen hat. Heute ist die Anlage im Besitz des National Trust und ein Besuchermagnet: Rund 160.000 Gartenfans besuchen sie jährlich.

Vita Sackville-West als verheiratete Frau.

Victoria Mary Sackville-West wurde vor 130 Jahren – am 9. März 1892 – auf Schloss Knole im Nordwesten von Kent als einzige Tochter von Baron Lionel Sackville und seiner Frau Victoria geboren. Das Schloss mit 365 Zimmern war 1566 von Elisabeth I. an den 1. Earl of Sackville-West übergeben worden. Ein beeindruckender Bau mit großen Ländereien, auf denen das Kind Vita umherstreift. Das Schloss ist ihre erste große und leidenschaftliche Liebe, aber vererbt wird es in der männlichen Linie. Ein Fakt, den sie ihr Leben lang nicht verwinden wird.

Gemeinsame Gartenleidenschaft

Am 1. Oktober 1913 heiratet Vita den sechs Jahre älteren Diplomaten Harold Nicolson. Eine Liebesheirat, eine konventionelle Hochzeit, der erste Jahre als Diplomatengattin im Ausland folgen. In Konstantinopel legt das Paar seinen ersten Garten an – und damit den Grundstein für den Bestand seiner Ehe. Denn diese gemeinsame Leidenschaft wird etliche Affären überstehen und in der gemeinsamen Erschaffung des genialen Gartens von Sissinghurst gipfeln. 

1960 schreibt Vita in einem Brief an Harold:

„Du hättest mich warnen sollen, dass das Gleiche wahrscheinlich auch mir passieren wird. Es hätte uns viel Kummer und viel Missverständnisse erspart. Aber ich wusste einfach nicht Bescheid.“ 

Gemeint sind ihrer beider gleichgeschlechtlichen Neigungen. 1918 entspinnt sich zwischen Vita und der Schriftstellerin  Violet Keppel eine heiße Liebesaffäre. In der Beziehung zu Violet beginnt Vita, sich als Mann zu verkleiden, mietet so ein Zimmer für das lesbische Liebespaar. „Immer häufiger trug Vita jetzt die Kleidung einer Gutsfrau, Breeches und Schaftstiefel“, schreibt ihre Biografin Glendinning. „Im Salon hätte man sie 1918 empörend gefunden, doch sie passten zu Vitas Größe und ihren langen Beinen“. Mit einem Meter zweiundachtzig ist Vita für die damalige Zeit ungewöhnlich groß. Es existieren zahlreiche Fotos, die eine schöne Frau zeigen. Doch Vita hat zwei Seiten: eine in sich gekehrte, eine manchmal herrische, in der die Aristokratin zum Vorschein kommt. 

Beziehung zu Virgina Woolf

Die 40-jährige Virginia Woolf, Mittelpunkt des Künstlerkreises Bloomsbury, und die zehn Jahre jüngere Vita lernen sich im Dezember 1922 auf einem literarischen Dinner kennen. Die robuste Vita sagt über die oft depressive Virgina: „Ich fühle mich ihr gegenüber als Beschützerin“.1928 erscheint „Orlando“. Die Protagonistin darin trägt ganz klar die Züge und die Persönlichkeit von Vita. Nigel Nicolson (Vitas jüngere Sohn) bezeichnet das Buch später als „längster Liebesbrief der Literaturgeschichte“. Die Frauen bleiben bis zum Selbstmord von Virgina Woolf im Jahre 1941 befreundet.

Rund 15 Jahre haben Vita und Harold mit ihren Söhnen in dem Cottage Long Barn gelebt, einen Garten angelegt. Dann soll das Gelände daneben an einen Geflügelzüchter verkauft werden. Die Möglichkeiten von Haus und Garten seien ausgeschöpft, meint Harold. Das Paar sieht sich um – und entdeckt Sissinghurst, rund zwanzig Meilen östlich von Long Barn. 

Sissinghurst

„Die Anlage von Sissinghurst war nicht neu: sie ließ sich zurückverfolgen bis zur Regierungszeit von Heinrich VIII. Das war in vielerlei Hinsicht von Vorteil. Es bedeutete, dass einige der Tudorgebäude den Hintergrund bilden konnten; es bedeutete, dass einige der hohen, rosafarbenen Steinmauern als Gerippe des zu werdenden Gartens erhalten blieben“, erinnert sich Vita zwanzig Jahre später. Die genannten Umstände verbucht das Paar als Vorteil. Der Nachteil: 12.000 Pfund soll die Anlage kosten. Dazu kommen Baukosten von rund 15.000 Pfund. Für 30.000 Pfund hätten sie ein Haus „komplett mit Park, Garage, Heißwasserversorgung, Zentralheizung, historischer Bedeutung und zwei Torhäusern rechts und links davon erwerben“ können, notiert Harold am 14. April in seinem Tagebuch. Noch dazu ohne Müll: „Das allerlästigste waren die wahrhaft entsetzlichen Haufen von Schutt, die zu beseitigen waren, bevor an das Pflanzen von irgendwas nur gedacht werden konnte. … Die Unmenge alter Bettgestelle, Pflugscharen, … alter Drahtknäuel und Bergen von Sardinenbüchsen“, so Vita.

Dass es nicht ein einzelnes, sondern fünf einzelne Gebäude gibt, stört das Paar nicht. Im South Cottage richten sie ihr Schlafzimmer ein, mit Bad und einem Wohnzimmer für Harold. Im abseits gelegenen Priest’s House erhalten die beiden Jungen Nigel und Ben ihr Zimmer. Dort wird auch die Küche untergebracht. Es gibt eine lange Bibliothek, das Haupthaus – und den roten Sandstein-Turm. Schon als Kind hatte Vita davon geträumt, in einem Turm zu sitzen und zu schreiben. Hier richtet sie ihr Allerheiligstes ein, ihr Arbeits- und Bibliothekszimmer, das angeblich außer ihr niemand betreten durfte. 

Schloss und Garten gehören heute dem National Trust und können besichtigt werden. Foto: Screenshot

Voller Tatkraft beginnt das Paar mit den Garten-Planungen – unterstützt von etlichen Arbeitskräften. Während Harold Sichtachsen entwirft und für geordnete Verhältnisse ist, schwärmt die Romantikerin Vita für „… ein Gewirr von Rosen und Geißblatt, Feigen und Weinreben“. Sie liebt es, wenn die Pflanzen über die Wege wuchern und ist sich nicht zu schade, Wildblumen am Wegesrand aus- und im Garten wieder einzupflanzen. Wer nach Sissinghurst kommt, um den Fortgang der Arbeiten zu begutachten, wird eine großgewachsene Gestalt in Kniebundhosen aus Kammgarn antreffen, kombiniert mit einer Bluse und einer groben Jacke. Die Stiefel haben einen Segeltuchschaft, „in dem nach ihrem eigenen Entwurf oben ein Täschchen für eine Gartenschere eingenäht war“, beschreibt die Autorin Julia Bachstein die Erscheinung, die von einer Perlenkette und langen Ohrringen abgerundet wird. 

Das Ehepaar Nicolson ist nicht vermögend. So trifft es sich gut, dass Vitas Roman „The Edwardians“ (Deutsch: „Schloss Chevron“) ein Bestseller wird. Das Buch erscheint am 29. Mai 1930 bei Hogarth Press, dem Verlag von Leonard Woolf. Täglich werden fast 800 Exemplare verkauft; bis zum 30. Juli sind es 20.000 Exemplare. In dem Roman beschreibt Vita Sackville-West die Gesellschaft ihrer Jugend und Kindheit, die verschwenderische, feudale Oberschicht Englands.

Leonard Woolf bezeichnet Vita als „ehrliche, schlichte, gefühlvolle, romantische, naive und sachkundige Schriftstellerin“ und schreibt: „All diese Eigenschaften flossen zusammen in ihrem Roman über das Leben der gehobenen Gesellschaft, und es entstand mit „Schloss Chevron“ ein Zeitgemälde und richtiger Bestseller“. Allerdings konstatiert er, dass „die meisten zeitgenössischen Bestseller von zweitklassigen Schriftstellern geschrieben werden“.

Wahrscheinlich hat er seine Frau im Blick, wenn er über „Romane von ernsthaften, genialen Schriftstellern“ sagt, dass sie dagegen oft mit der Zeit zu Bestsellern werden.

Neben Romanen beginnt Vita, für Zeitungen über Gärten zu schreiben. Ab 1946 erscheint im „Observer“ wöchentlich ihre Gartenkolumne, in der sie locker über Blumen und Gartenarbeit plaudert. 1937 beschreibt sie in dem  Buch „Some Flowers“ 25 ihrer Lieblingsblumen. Damit gelingt ihr der Durchbruch als Gartenschriftstellerin. Ab 1938 wird der Garten von Sissinghurst dann für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht – sämtliche Bereiche, keiner ist ausgenommen. Das bedeutet aber keinen Stillstand. Ständig verbessern Vita und Harold etwas. 1949 wird der „Weiße Garten“ angelegt – das Glanzstück des Paares, das Gartenliebhaber weltweit zur Nachahmung veranlasst hat. Ob Stiefmütterchen, Pfingstrosen, Rittersport oder Hortensien – hier wachsen nur Blumen in Weiß.

Sowohl Vita als auch Harold sterben auf Sissinghurst: Am 2. Juni 1962 erliegt Vita einem Krebsleiden. Harold stirbt am 1. Mai 1968. Sohn Nigel erbt Schloss und Garten. Als er Tagebücher seiner Mutter entdeckt, entsteht 1973 die Biografie „Porträt einer Ehe“. Darin sagt er: „Vielleicht wird eines Tages ein Buch über die Anlage des Gartens von Sissinghurst geschrieben werden, und es könnte durchaus denselben Titel tragen wie das vorliegende, denn dieser Garten ist das Porträt einer Ehe, Harold machte den Entwurf, Vita pflanzte ihn.“

Bücher über Vita und den Garten

  • Julia Bachstein (Hsg.), „Sissinghurst – Porträt eines Gartens“, 128 Seiten, 12 Euro, Schöffling & Co.
  • Astrid Ludwig, „Einmal gärtnern wie in Sissinghurst“, Ein Blick hinter die Kulissen der berühmten englischen Gartenlegende, 142 Seiten, 19 Euro, Verlag Eugen Ulmer
  • Tony Lord, „Sissinghurst. Einer der schönsten Gärten Englands“, 168 Seiten, DuMont, antiquarisch oder aktuell bei Weltbild
  • Nigel Nicolson, „Porträt einer Ehe“,  Ullstein Taschenbuch 
  • Biografie: Victoria Glendinning, „Vita Sackville-West“ 
  • Die Liebenden von Bloomsbury: Eine Roman-Reihe von Stefanie H. Martin, die sich mit dem Bloomsbury-Kreis befasst. „Virginia und die neue Zeit“ ist im 21. Juni 2022 erschienen. „Vita und der Garten der Liebe“ erscheint 2023 als Aufbau-Taschenbuch.
  • Virginia Woolf, „Orlando“,  verschiedene Ausgaben. Verfilmt 1993 mit Tilda Swinton in der Hauptrolle (als DVD erhältlich)

Bücher von Vita Sackville-West (eine Auswahl)

  • „Meine Lieblingsblumen“, 126 Seiten, 8.99 Euro, Insel Taschenbuch 
  • „Mein Frühlingsgarten“, „Mein Sommergarten“, „Mein Herbst-und Wintergarten“:  Sammlungen ihrer Gartenkolumnen, erschienen bei Piper
  • „Schloss Chevron“, 272 Seiten, 7.90 Euro, Fischer Taschenbuch
  • „Eine Frau von vierzig Jahren“: Erschienen 1932 unter dem Titel „Family History“,  schildert die selbstlose Liebe einer reifen Frau zu einem 25-jährigen Mann, gleichzeitig Porträt der Generation von Vita Sackville-West. 432 Seiten, 24.80 Euro, Edition Ebersbach, Neuübersetzung aus dem Jahre 2012

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