Rezension – Petra Oelker: Das Haus am Gänsemarkt

Bewertung: 4.5 von 5.

Die Herrschaft Napoleons hatte gravierende Auswirkungen – auch in Hamburg. Die Franzosenzeit bedeutete starke wirtschaftliche Einschränkungen und brachte die Hansestadt an den Rand des Bankrotts. Am Beispiel der fiktiven Kaufmannsfamilie Brestetten schildert Petra Oelker die Jahre 1812 bis 1814. Es ist ein historischer Roman bester Güte: informativ und emotional.  

Verlagsinfo

Hamburg, 1812. Während ihre Eltern Amerika bereisen, lebt Sophia Benedikt bei ihrem Onkel, dem Kaufmann Arnold Brestetten, und seiner Familie. Das Leben im großen Haus am Gänsemarkt ist komfortabel, doch die Zeiten sind schwierig. Kaiser Napoleon überrollt mit seinen Armeen Europa. Als wichtigste Stadt der nun französischen Norddepartements ist Hamburg ebenso Ort rauschender Feste wie großen Elends. Arnold Brestetten glaubt anfangs noch, sich mit den neuen Gegebenheiten arrangieren zu können. Bis ein französischer Offizier mit seiner Entourage in seinem Haus einquartiert wird und die Geschäfte durch die Kontinentalsperre niedergehen. Als sich in Hamburg Widerstand gegen die Besatzer regt, müssen die Bewohner im Haus am Gänsemarkt sich entscheiden, wo ihre Loyalitäten liegen. Mit weitreichenden Folgen auch für Sophia.

Das Buch

Darum liebe ich historische Romane – sie vermitteln einem Wissen über vergangene Zeiten. Aber nicht trocken durch die Aneinanderreihung von Jahreszahlen oder endlosen Beschreibungen von kriegerischen Auseinandersetzungen. Sondern sie betten die vergangenen Ereignisse in ein Rahmenhandlung. Oftmals kommen dazu emotional anrührende Schilderungen durch die Lebensbeschreibungen von historischen oder fiktiven Personen. Genau das geschieht in diesem Buch.

Der Gänsemarkt

Hamburg-Besucher werden den Gänsemarkt kennen, liegt er doch in der Innenstadt,  Ecke Dammtorstraße und Valentinskamp in der Hamburger Neustadt. Die Wallanlagen (Bastionen) sind nicht weit entfernt. Nur heute sind sie nicht mehr als Verteidigungsbollwerk zu erkennen. Im Gegensatz zur Franzosenzeit.

„Seit einiger Zeit spazierte Johanna Brestetten trotz der fremden Soldaten wieder gerne auf der Promenade entlang der Bastionen. Früher war sie den Weg oft mit den Kindern und den Mädchen gegangen, sonntags mit der ganzen Familie. […] Von der Bastion Casparus ging ihr Blick über noch recht wenig bebautes, von einigen Wegen durchschnittenes Wiesenland weit über die träge dahinfließende Elbe und nach Altona. Es schien ihr lange her, seit Tag für Tag die Großsegler die Elbe heraufgekommen waren. Noch bis vor wenigen Jahren hatte die größte Handelsflotte Europas die Hamburger Flagge getragen. Da waren Speicher und Lager prall gefüllt mit Waren aus aller Welt gewesen.“ (Beschreibung im Buch)

Die Franzosenzeit dauerte von 1806 bis 1814. Das bedeutete Einquartierungen – so wie im Haus der Brestettens. Die Familie ist fiktiv, das Haus gab es wirklich. „Es wurde nach einem 1806 vollendeten klassizistischen Gebäude am Gänsemarkt in der Nachbarschaft von Roth’s alter englischer Apotheke gestaltet und nach Plänen des Kopenhagener Architekten Ch. Fr. Hansen erbaut. Der Bauherr und erste Bewohner G. Wortmann musste sein Haus 1813/14 komplett Festungsgouverneur van Hogendorp überlassen. … Das Haus ist längst verschwunden, die Apotheke gibt es noch schräg gegenüber ihrem damaligen Standort“, erklärt Oelker im Nachwort.

Der größte Teil des Hauses der Brestettens am Gänsemarkt wird für Napoleons Zolldirektor beschlagnahmt. Trotz aller Einschränkungen geht es der Familie vergleichsweise gut. Die Sorge um Angehörige und die Belagerung durch die russischen Truppen hinterlassen allerdings Spuren. Neue Gesetze und harte Zollkontrollen, Lebensmittelmangel – all dies wird anschaulich in die Romanhandlung eingebettet beschrieben. Neben vielen Nachteilen gab es für eine Bevölkerungsgruppe auch Vorteile: die Juden wurden rechtlich vollständig gleichgestellt.

Im März 1813 rückten die Franzosen kurzzeitig ab. 1814 marschierten dann wieder Truppen Richtung Hansestadt. So kostete das Ende der Franzosenzeit  zahlreiche Hamburger das Leben. Vor allen die Armen. Um die Stadt verteidigen zu können, wurden  „vor den Toren der Stadt, auf dem Hamburger Berg, in Pöseldorf, Hamm, am Rothenbaum, vor dem Dammtor und in Teilen von St. Georg  zugunsten eines freien Schussfeldes die Häuser abgerissen, alle Bäume gefällt und die Gärten verwüstet. Die Bevölkerung wurde gezwungen, in Minuten ihre Häuser und ihren Besitz zurückzulassen und in Nachbarorten unterzukommen oder im Freien zu kampieren. Allein in St. Pauli wurden mitten im Winter so 900 Häuser, Buden, die Kirche sowie der Krankenhof mit 800 Kranken zerstört.“ (Wikipedia) Eine Begebenheit, von der ich noch nie etwas gehört hatte und auch für Familienmitglieder der Brestettens Auswirkungen hatte. Es sind Ereignisse wie dieses, die für Dramatik im Roman sorgen.

Übrigens

…. beginnt das Buch mit der Freiheitsfeier am 17. Juli 1790 in Hamburg. Damals blickte ein Teil der hanseatischen Kaufleute begeistert nach Frankreich, fand Gefallen an den Ideen von Gleichheit und Brüderlichkeit. Im Klostergasthaus in Harvesthude (damals noch ein Dorf) wurde der Tag gefeiert. 

Diesen Tag beschreibt auch Micalea Jary in „Die Lindenterrasse“. Allerdings ist die Szene bei Petra Oelker lediglich der Ausgangspunkt und wandelt sich die anfänglich positive Einstellung zu den Franzosen im Laufe der Zeit.

Fazit

Klar, ich habe viel über Napoleon gelesen. Aber nur wenig über die Franzosenzeit in Deutschland, speziell im Norden. Insofern hat mir dieses Buch viele neue Erkenntnisse beschert. Eigentlich hat es fünf Sterne verdient. Aber manchmal gibt es längere Passagen, die sehr sachlich sind. Das ist an sich nicht negativ. Aber in einem Roman ist das ein bisschen ermüdend. Doch das mag auch ein persönliches Empfinden sein. 

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