Sylvia Lott und die Liebe zu Norderney

In der Norderney-Saga beschreibt die Autorin die Geschichte der Insel von 1904 bis 1955. Ein Gespräch. ◼️

Sylvia Lott und Norderney – das ist eine Liebe, die Jahrzehnte bis heute überdauert hat. Und die sich in ihrer erfolgreichen Norderney-Saga widerspiegelt. Die Lesungen der Schriftstellerin auf der Nordseeinsel sind meist ausverkauft. Zu einem Gespräch treffen wir uns an einem geschichtsträchtigen Ort,  in der „Milchbar“ auf Norderney.

Der Wind bläst den feinen Sand über die Promenade. Touristen mit und ohne Hund bummeln den Weg am Meer entlang. Schließlich scheint die Sonne. Wir suchen uns einen windgeschützten Platz im Innern der Milchbar und entscheiden uns für einen Kaffee. Obwohl Sylvia Lott Teetrinkerin ist. „Klar, als gebürtige Ostfriesin!“, erklärt sie mit Nachdruck. Allerdings wuchs sie in Augustfehn auf. Das gehört zwar zum oldenburgischen Ammerland, erläutert sie, das wiederum grenzt an Ostfriesland. Und dazu gehört Norderney. 

Milchbar
Ehemals „Scherls Lesehalle“, dann Tea- und Coffee-Room für die britischen Soldaten, später Milchbar, heute Soulfoud und coole Drinks. Der runde Pavillon direkt am Strand teilweise unter Denkmalschutz. Wer mehr zur Geschichte wissen möchte, dem sei der Wikipedia-Eintrag empfohlen. Wer etwas zu heutigen Konzept sucht, die aktuelle Webseite.

„Mit dreieinhalb Jahren war ich mit meiner Mutter auf Norderney in Urlaub“, erzählt Sylvia Lott. Sie schmunzelt. „Da habe ich mich infiziert.“ Mit 16 Jahren hat sie im Strandhotel gejobbt. 2016 erschien ihr Roman „Die  Inselfrauen“, der auf Borkum angesiedelt ist. „Das wurde der Renner. Das Buch erschien in 14 Auflagen!“ Vier Jahre und drei Romane später („Die Fliederinsel“, 1917, spielt auf Fünen in Dänemark, „Die Inselgärtnerin“, 1918, in Florida, „Die Rosengärtnerin“, 1919, in Frankreich an der Loire und in Ostfriesland) veröffentlichte der Blanvalet Verlag „Der Dünensommer“. Der Roman spielt im Jahre 1959 auf Norderney. Nach den Recherchen für dieses Buch war der Autorin klar, „dass Norderney eine besonders faszinierende Geschichte hat“. 

Aufwändige Recherche

Als sie daher vom Verlag gefragt wurde, ob sie ich nicht einen Mehrteiler schreiben wolle, der auf der Insel spielt, war die Antwort klar. „Ich hab‘ gedacht, ich muss nicht alles neu recherchieren.“ Sylvia Lott wundert sich über ihre Zuversicht. Denn „Straßennamen ändern sich, Hotelnamen ändern sich“, sie musste sehr sorgfältig nachforschen, damit die Details stimmig waren. 

Im Inselarchiv erhielt sie Unterstützung vom hauptberuflichen Archivar, im Internet ist die Norderney-Chronik nachlesbar und sie las die Erinnerungen des Reichskanzlers von Bülow. „Die gibt es allerdings nur noch antiquarisch.“ Auch im Bademuseum erhielt sie zahlreiche Anregungen für ihre Bücher.

„Den ‚Dünensommer‘ eingeschlossen dauerte die Recherche sechs Jahre“, seufzt sie. „Das ist vergleichbar mit einer Doktorarbeit.“ Aber die Mühe hat sich gelohnt. Die Bücher um das Schicksal der Freundinnen Frieda und Grete werden viel gelesen. Sie sind beste Unterhaltungslektüre, aber sie vermitteln auch zahlreiche Informationen über die Insel und ein lebendiges historisches Bild.

An diesem sonnigen Tag der Gegenwart sitzen einige Mutige am Strand. Schon lange müssen sie sich nicht mehr streng getrennt nach Männern und Frauen in die Fluten wagen. An die strikte Trennung bis Beginn des Ersten Weltkrieges erinnern nur noch Straßennamen – der Damenpfad und der Herrenpfad. Die inzwischen von beiden Geschlechtern genutzt werden dürfen. Auch Badekarren sieht man nur noch zur Zierde und nicht mehr als Gebrauchsgegenstand. Die hölzernen Kabinen auf vier Rädern wurden nach dem Umkleiden der Gäste ins Wasser gezogen. Badedienerinnen wie die Mutter von Fischerstochter Frieda halfen den Badenden, die damals in der Regel nicht schwimmen konnten.

In jeder Epoche ein anderes Publikum

Die Norderney-Saga beginnt 1904 und erstreckt sich über vier Bände bis 1955. 

Den Anfang machen „Die Frauen vom Inselsalon“. Diese träumen von einer besseren Zukunft. Noch hat der Kaiser das Sagen. „Mit jeder Epoche kam ein anderes Publikum nach Norderney“, weiß Sylvia Lott. 1797 war die Insel das erste Nordseebad an der deutschen Nordseeküste. „Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kamen Adelige, Großbürger, Offiziere und Künstler mit ihren Familien.“ Schließlich hatten die Insulaner „schon Strom, als der Rest von Ostfriesland noch Petroleumlampen nutzte“. So urlaubte hier zum Beispiel jahrelang Reichskanzler Bernhard von Bülow stets mehrere Wochen, während der auch schon mal ein bisschen regiert und eine russische Handelsdelegation empfangen wurde

Die Liste der illustren Norderney-Gäste ist lang: „Heinrich Heine war hier, Otto von Bismarck, Prinzessin Viktoria, die Schwester von Kaiser Wilhelm II und der König von Sachsen, der Schriftsteller Theodor Fontane und der Komponist Paul Linke“, zählt die Autorin einige auf. Nicht alle finden sich in ihren Büchern wieder, aber etliche. 

Und so hat sich die Insel in kurzer Zeit gewandelt, wie auf den Fotos unten (aus einer Ausstellung im Bademuseum) zu sehen ist. Links die Friedrichstraße um 1880, rechts nur zwanzig Jahre später, um 1800.

Zur Frage nach Dichtung und Wahrheit schreibt sie im Nachwort des ersten Bandes: „Es gilt: Je berühmter die Figuren, desto authentischer ihre Geschichten. Alle erwähnten prominenten Kurgäste sind tatsächlich auf Norderney gewesen. Die geschilderten historischen Ereignisse und Skandale haben sich wirklich zugetragen, die Verbindungen zu meinen Hauptfiguren jedoch sind erfunden.“

Bademuseum
Wer mehr zur Reise- und Badekultur wissen möchte, findet im Bademuseum eine anregende und gut gemachte Ausstellung. Poppe-Folkerts-Weg 3b, Telefon 04932 / 935422, Öffnungszeiten Di –
Fr: 11 bis 17 Uhr, Sa + So: 14 bis 17 Uhr

Im Mittelpunkt steht der Friseursalon Fisser, in dem sich auch von Bülow den Bart stutzen lässt.

„Es gab fließendes Wasser an jedem Arbeitsplatz, ebenso einen Gasanschluss, damit die Onduliereisen erhitzt werden konnten. Die aufwendige Renovierung hatte den Betrieb auch technisch auf den modernsten Stand gebracht. Der Friseursalon der Fissers war bislang als einziger auf der Insel an die Elektrizitätsleitung angeschlossen, die vom Festland durch Seekabel zum Conversationshaus verlief.“ (Zitat aus dem Buch)

Hier arbeitet Frieda und prägt später die Geschicke des Betriebes. „Dass man deutsche Geschichte wie durch eine Lupe sieht, fand ich total faszinierend“, erzählt die Autorin über ihre Recherchen und das Entstehen der vier Bände.

Die Bücher der Norderney-Saga sind schön gestaltet. Vorne ein alter Stadtplan, hinten Fotos. ©Blanvalet

1914 beginnt der Erste Weltkrieg, mit ihm der „Sturm über dem Inselsalon“, Band 2. In diesen Jahren haben die Menschen auf Norderney schwere Zeiten zu überstehen, denn die Besucher müssen ausbleiben, weil die Insel – in vorderster Front des Deutschen Reichs gelegen – militärisches Sperrgebiet wird.

Die 20er Jahre bedeuteten „Goldene Zeiten im Inselsalon“. Zwar „gab es viele soziale Probleme, die Schere klaffte weit auseinander“, so Sylvia Lott. Doch es kamen wieder Gäste. Jetzt „waren es überproportional viele jüdische Industrielle, auch viele neureiche Kriegsgewinnler, der Adel gab nicht länger den Ton an“. Tanzwettbewerbe waren an der Tagesordnung. Mit dem „Charleston haben sich die Menschen den Schrecken des Krieges aus den Knochen geschüttelt“. Und Frieda entwickelt sich zur Meisterin des Bubikopf-Haarschnitts.

Dass sich alles liest, als sei man mittendrin, ist der journalistischen Erfahrung von Sylvia Lott zu verdanken. „Als ich in der Stadtredaktion von Oldenburg meine erste Reportage geschrieben habe, erhielt ich von einer gestandenen Kollegin den Rat: Immer alle Sinne durchgehen“. Das mache sie heute noch bei jeder Szene. Und so sehen ihre Leserinnen und Leser nicht nur die stilvollen Gebäude jener Anfangsjahre vor sich, sie hören, riechen und schmecken die Insel, ja fühlen sie. 

Kurzvita
Sylvia Lott wurde am 13. Dezember 1955 in Ostfriesland geboren und wuchs in Augustfehn (Ammerland) auf.
Sie absolvierte ein Volontariat bei der Nordwest-Zeitung in Oldenburg und studierte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Publizistik, Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte. Sie beendete das Studium mit der Promotion über Frauenzeitschriften im Dritten Reich und in der Nachkriegszeit.
Dann arbeite sie als Ressortleiterin bei bekannten Frauenmagazinen und schrieb als freie Journalistin für zahlreiche Publikation, darunter „Der Feinschmecker“ und das „ADAC-Reisemagazin“.
Die Autorin lebt in Hamburg-Winterhude und neuerdings auch wieder im Ammerland und steht mit ihren Romanen immer wieder auf der Spiegel-Bestsellerliste.
Sie ist Mitglied von DeLiA (Vereinigung Deutschsprachiger Liebesroman-Autoren), im Hamburger Presseclub und im Verein Homer Historische Literatur.

Der letzte Band, „Neue Träume im Inselsalon“ spielt vor, während des Zweites Weltkrieges und danach (1935 bis 1955). Die NS-Massenorganisation „Kraft durch Freude“ und die Hitlerjugend brachten wieder um andere Gäste als gewohnt – Arbeiter und Jugendliche aus allen Schichten – auf die Insel. „1938 gab es in den Dünen das deutschlandweit größte Hitlerjugend-Lager“ und Nicht nur die unrühmliche „Norderney judenfrei“-Kampagne gleich zu Beginn der NS-Zeit (die auch Roman-Protagonisten hart trifft) sorgte dafür, dass die Zusammensetzung der Kurgäste sich änderte. Nazi-Bonzen reisten zum Urlaub an, so die Autorin zu den Touristen jener Zeit. Während des Krieges ist die Insel dann erneut für alle gesperrt, die nicht Insulaner oder Soldaten sind. Bunkerreste zeugen von dieser Zeit, auch auf Borkum, so Lott. „Als Kind habe ich noch darin gespielt.“ 

Von 1946 bis 1952 bestimmen die britischen Besatzer das Leben auf der Insel. „Sie beanspruchen alles, was schön und edel ist“, so Lott, „die besten Hotels und sämtliche Kureinrichtungen.“ Das beschreibt sie im Buch sehr lebendig. Erst nach 1952 ist wieder alles auch für deutsche Urlauber zugänglich.

So sah es damals aus. Hochherrschaftliche Häuser und am Strand reiht sich Badekarren an Badekarren (Hotel Bremer Häuser und Damenbad). Aus einem Gemälde im Bademuseum. © Sopha

„Aber warum ist 1955 Schluss?“ Es gäbe doch noch so viel zu erzählen, so viele Veränderungen. „Nun, die Reihe war auf vier Bände ausgelegt und in den ersten drei habe ich es nur geschafft, jeweils zehn Jahre zu beschreiben“, erklärt Sylvia Lott. Die Wirtschaftswunder-Epoche werde schon im  „Dünensommer“ beleuchtet, der spielt 1959. „Die Zeit war für mich darum schon abgehandelt.“ Daher endet „der große Bogen über Liebe und Freundschaft“ der Norderney-Saga Mitte der 50er Jahre. 

Der Wind hat nicht nachgelassen, pustet die Menschen vor der Milchbar tüchtig durch und sorgt auch beim Fototermin für Verwehungen. Aber Sylvia Lott ist wetterfest. Das Norderney-Virus hat sie nach wie vor fest im Griff.  Sie reist regelmäßig auf die Insel, unter anderem zu Lesungen (Termine am Ende des Artikels). Und ihre Besuche sind nach Möglichkeit verbunden mit einem Bad in der Nordsee.

Nach Norderney stand in den vergangenen Monaten allerdings neben England wieder Borkum im Zentrum ihres Schaffens – für ihren neuen Roman „Duftwickensommer“, der am 23. Juli erscheint.

TERMINE

Lesung aus „Neue Träume im Inselsalon“

Conversationshaus Norderney, Weißer Saal, Am Kurplatz 1, Norderney — Dienstag, 15. April 2025, 19.30 Uhr — Im Vorverkauf 13 Euro, an der Abendkasse 15 Euro — Tickets Norderney Eventticket

Lesung mit Fotoshow und Interview

Bademuseum Norderney, Poppe-Folkerts-Weg 3b, Norderney

Neben der Lesung geht es im Gespräch mit Elise Terfehr, die passende Fotos aus dem Inselarchiv zusammengestellt hat, um die wahren historischen Hintergründe der Norderney-Saga. Und man kann sich vorher und in der Pause Ausstellungsstücke ansehen, die Anregungen für den Vierteiler geliefert haben bzw. genau in die Zeit der Handlung passen.

Mittwoch, 25. Juni 2025, 20 Uhr, Im Vorverkauf 10 Euro, an der Abendkasse 12 Euro, Tickets: Direkt im Bademuseum, Reservierungen unter 049 32/93 54 22

Vom Winde verweht: Sabine Sopha und Sylvia Lott an der Promenade.
©Wolfgang Henze, alle anderen Fotos Sabine Sopha, Blanvalet und Bademuseum

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