130 Jahre Nord-Ostsee-Kanal. 2. Teil: Dahlström alias „Kanalström“ – ein Hamburger mit einer Vision

Der Bau des NOK: Fiktion und Wirklichkeit ◾️

Vor 130 Jahren, am 21. Juni 1895, wurde der Nord-Ostsee-Kanal eröffnet. Das wird vom 4. bis 6. Juli 2025 in Brunsbüttel gefeiert. Dem Bau der Wasserstraße waren viele Jahre mit Verhandlungen und Planungen vorangegangen. Davon berichtet die Romanserie „Zwischen den Meeren“ von Lena Johannson. Und von Heinrich Hermann Dahlström, der als der Vater der künstlichen Wasserstraße gilt. Er war der wichtigste Initiator und Planer des Kaiser-Wilhelm-Kanals – was fast vergessen ist. Seine Urenkelin Merve Giebler hat alte Aufzeichnungen auf dem Dachboden gefunden und ruft die Verdienste des Hamburger Reeders in einem Buch in Erinnerung. Dies diente Lena Johannson als wichtige Quelle für ihre Roman-Trilogie über den Bau des Kanals. Eine ihrer Romanfiguren ist die Dahlström-Tochter Mimi. Meehr-Lesen stellt Fiktion und Wirklichkeit in einer vierteiligen Serie vor.

Dahlström alias „Kanalström“

Heinrich Hermann Dahlström war ein Mann mit vielen Talenten und Ideen. Dass er allerdings einmal als „Vater des Nord-Ostsee-Kanals“ in die Geschichte eingehen würde, war bei seiner Geburt am 18. April 1840 nicht zu ahnen. Denn als Sohn des Hamburger Pianofabrikanten Friedrich Peter Wilhelm Dahlström war sein Lebenslauf vorgezeichnet. Er sollte die väterliche Fabrik übernehmen und erlernte dafür das Tischlerhandwerk. „Diese Lehre entsprach nicht unbedingt seinen Neigungen. Den 15-Jährigen interessierten vielmehr Mechanik und Maschinenbau“, schreibt Ernst Joachim Fürsen in einer Jubiläumsschrift*. „In seiner Freizeit beschäftigte sich der Lehrling vornehmlich mit der Mechanik und dem Nachbau von Maschinenmodellen.“

Im Herbst 1858 erlitt der junge Mann einen Blutsturz. Danach durfte er nicht mehr in der väterlichen Werkstatt arbeiten. Die Mutter starb und der väterliche Betrieb musste einige Jahre später aufgegeben werden. 1860 wurde Dahlström vorzeitig für volljährig erklärt. Warum ist nicht bekannt. Aber, dass er zu diesem Zeitpunkt mit einem Betriebskapital von 30.000 Mark Banko eine Fabrik für Tonwaren in Geesthacht gründete. Das Geld hatte er wohl von seinem Großvater. Vier Jahre später verkaufte er das Unternehmen wieder.

Heinrich Hermann Dahlström legte der preußischen Regierung 1878 eine Denkschrift über „Die Ertragsfähigkeit eines schleswig-holsteinischen Schiffahrtskanals“ vor, auf der letztlich der Kanalbau gründete. © Giebler

Ein umtriebiger Mann also. Dahlström wollte er mit Hilfe von Wasserstoffgas eine Hydrogenmaschine konstruieren und trat in Kontakt mit Werner Siemens. Auch Alexander von Humboldt wollte er für seine Erfindung begeistern. „Dann lernte er Alfred Nobel kennen“, erklärt Urenkelin Merve Giebler. Ihr sind zahlreiche Details bekannt. Ihre Mutter hatte Aufzeichnungen der Familie archiviert. Das Material hatte viele Jahre in einer Kiste auf dem Dachboden gelegen. Nobel „engagierte ihn als Agent zum Verkauf des zum Bergbau benötigten Sprengöles des (Dynamit).“ * So ging der 24-Jährige auf Reisen. Das Dynamit lagerte dabei ungesichert auf den Fuhrwerken.

Am 29. Juni 1872 heiratet Hermann Dahlström die Hamburgerin Dorothea Meyer. Er ist 32 Jahre alt, seine Braut feierte am Tag darauf ihren 18. Geburtstag. „Die Ehe meine Eltern war eine reine Liebesheirat, wie sie in dem schönen Gedicht von Goethe, Hermann und Dorothea dargestellt wird“, schreibt Else Dahlström-Neufeldt in ihren Erinnerungen. **

1877 wurde Dahlströms Frau Dorothea in der Kieler Universitätsklinik operiert. Zehn Wochen hielt sich der Hamburger Reeder in der Ostseestadt auf. „Ablenkung von seinen persönlichen Sorgen fand er in der Bibliothek, wo er die Unterlagen der bisherigen Kanalplanungen studierte“, so Dr. Ernst Joachim Fürsen. Nun ließ in das Projekt Kanal nicht mehr los. Er legte der preußischen Regierung 1878 eine Denkschrift über „Die Ertragsfähigkeit eines schleswig-holsteinischen Schiffahrtskanals“ vor, auf der letztlich der Kanalbau gründete. (Quelle: Holtenauer Geschichte, www.apt-holtenau.de)

Kanal-Ideen

Die Region zwischen Bovenau (unten rechts), Sehestedt (oben rechts) und Schirnau (oben links) vor dem Kanalbau. © Museum Sehestedt
Ideen für die Kanal-Routen gab es viele. © Beseke: Der Nord-Ostsee-Kanal

Ideen für eine Verbindung zwischen Nord- und Ostsee gab es viele, sogar von St. Margarethen nach Travemünde. In einer Schrift aus dem Jahre 1893 werden sie aufgeführt ­– und die Verdienste von Dahlström gewürdigt***. Unermüdlich hatte der Reeder für den Kanal und für die Route Kiel – Brunsbüttel geworben. Er hatte sich an etliche Politiker gewandt, stieß aber auf Desinteresse. Das änderte sich erst, als er in Bismarck einen Unterstützer fand. Sein Engagement brachte ihm den Spitznamen „Kanalström“ ein.

„Eine wesentliche Förderung wurde dem Projekt des Nord-Ostsee-Kanal durch den Kaufmann H. Dahlström in Hamburg zu Teil, welcher in den Jahren 1878-1881 auf eigene Kosten das Lentzesche Projekt überarbeiten, hierbei die östliche Ausdehnung des Kanals in die Kieler Bucht verlegen ließ […] Diese offizielle Würdigung der Verdienste des Vaters des Nord-Ostsee-Kanals ist in der Grundsteinlegungsurkunde nachzulesen, die Kaiser Wilhelm I. am 3. Juni 1887 in den Holtenauer Schleusenfundamenten eingemauert hat. […] schreibt Fürsen.

Vergessen

Im Heimatmuseum von Hanerau-Hademarschen lagert eine Fülle von Material zum Bau des Nord-Ostsee-Kanals. Aber Dahlström? 

In 45 Bauzeitungen mit Abhandlungen über den Nord-Ostsee-Kanal habe ich nichts über den Reeder Dahlström gefunden. Man hat ihn wohl wirklich beim Bau des Kanals fast vergessen“, erklärt Fritz Hermann Barnstedt, vom Museumsverein Heimatmuseum Hanerau-Hademarschen. Er vermutet: „Wohl auch deshalb, weil er seinen Plan bereits 1870 an den Staat für 50.000 Mark verkauft hat. Die Bauräte Füllscher und Baensch haben dann mit überwiegend seinen Plänen den Kanal gestaltet.“

Dahlströms wichtiger Anteil an der Verwirklichung des Projekts geriet in Vergessenheit. Urenkelin Merve Giebler und auch die Romanreihe von Lena Johannson rücken die Person und ihre Leistungen wieder in das Licht der Öffentlichkeit.

„Es ergab durchaus Sinn, dass das Wachstum der Industrie, und Deutschland war eins der ersten Industrieländer in der Welt, gute Wege brauchte, um Waren schnell hin und her zu transportieren. Dahlström kannte sich aus, er wirkte seriös, überzeugt davon, etwas Gutes auf den Weg gebracht zu haben, er wirkte so engagiert. Als er davon erzählte, dass von Rendsburg der größte Widerstand gegen seinen Kanal ausging, machte er einen geradezu verzweifelten Eindruck.“ (Romanauszug)

Als Schriftstellerin Lena Johannson ihre NOK-Trilogie begann „fehlte mir eine weibliche Person, die wirklich gelebt hat“, berichtet sie. Bei einer Lesung machte sie die Bekanntschaft von Merve Giebler, der Urenkelin von Hermann Dahlström und erfuhr durch deren Aufzeichnungen von Maria Dahlström, genannt Mimi. Sie wurde zu einer der Hauptpersonen in der Romanreihe (mehr zur Familie im 3. Teil der Serie).

Marie Dahlström genannt Mimi im Jahre 1890. Die Tochter unterstützte ihren Vater. © Giebler

„Das Interesse Dahl strömend an dem Vorankommen der Kanalarbeiten war natürlich lebhaft. Wir wissen von Familienausflügen, wo der Reeder auf seinem Schlepper seine Familie und Freunde mitnahm, um sich an Ort und Stelle über da Vorankommen der Arbeiten zu informieren. Das gesamte Projekt, an dem bis zu 9.000 Arbeiter beschäftigt waren, ist damals die größte Baustelle Europas, wenn nicht sogar der Welt, gewesen.“*

Die Grundsteinlegung des Kanals durch Kaiser Wilhelm in Kiel-Holtenau am 3. Juni © Originalzeichnung Fritz Stoltenberg

50.000 Mark für sieben Jahre Vorarbeit

Dahlström hat über die Jahre viel Geld in die Projektierung des Kanals gesteckt. In der Festschrift zur Kanaleröffnung wurde seinem Anteil auch viel Raum gegeben.

Bei der Eröffnungsfeier 1895 finden wir Dahlströms Namen in streng nach Reihenfolge aufgeführten Gästen […] unter „sonstige notable Personen“. Bekanntlich ist zu dieser Feier auch nicht der entlassene Reichskanzler Fürst Otto von Bismarck eingeladen worden, der der unermüdliche politische Antriebsmotor dieses Jahrhundertprojekts war.“*

Jahre zuvor war ihm versichert worden, er würde auch finanziell nicht vergessen werden. Es wurde ein Fonds für Dotationen (Geld für besondere Verdienste) gegründet. „Dabei würde der Vater selbstverständlich nicht vergessen, hatte man ihm versichert. So machte der Vater dann seine „kulanten Bedingungen“, und sie bestanden in der Vergütung der Kosten (50.000 Mark), die er von den Vorarbeiten gehabt hatte“, erinnert sich Mimi. Dann war der Kanal fertig – und Dahlström erhielt nichts.

Einladungskarte für Mimi Dahlström zur Eröffnung des Nord-Ostsee-Kanals. © Giebler

Das bedeutete jedoch nicht, dass die Familie verarmte. 1883 hatte der umtriebige Mann zusammen mit anderen Reedereien an der Ostsee den „Deutschen Rhederei-Verein“ gegründet, eine Seeversicherungs-Aktiengesellschaft. 1886 gründete er als Hauptteilhaber den Nordischen Bergungsverein, der 1922 von der heutigen Bugsier-, Reederei- und Bergungsgesellschaft übernommen wurde. Bis 1903 führte Dahlström die Geschäfte. Am 5. Mai 1922 starb der Mann, dem die Schifffahrt viel zu verdanken hat. Er ist auf dem Ohlsdorfer Friedhof begraben.

* Dr. Ernst Joachim Fürsen aus Rendsburg, „H. Dahlström alias Kanalström zum 140. Geburtstag des Vaters des Nord-Ostsee-Kanals, veröffentlicht April 1980 vom Schleswig-Holsteinischen Heimatbund.  

**„Hermann Dahlström – Vater des Nord-Ostsee-Kanals“, Hundert Jahre Familiengeschichte der Familie Hermann und Dorothea Dahlström im Hamburg des 19. Jahrhunderts. Nach Erinnerungen von Maria Dahlström-Leinweber und Else Dahlström-Neufeldt / Textbearbeitung von Merve Giebler. Zu bestellen bei mervegiebler@yahoo.de für 26 Euro

*** „Der Nord-Ostsee-Kanal. Seine Entstehungsgeschichte, sein Bau und seine Bedeutung in wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht“, Carl Beseke, 1989. Schrift im Heimatmuseum Hanerau-Hademarschen

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