Der Bau des NOK: Fiktion und Wirklichkeit ◾️

Vor 130 Jahren, am 21. Juni 1895, wurde der Nord-Ostsee-Kanal eröffnet. Das wird vom 4. bis 6. Juli 2025 in Brunsbüttel gefeiert. Dem Bau der Wasserstraße waren viele Jahre mit Verhandlungen und Planungen vorangegangen. Davon berichtet die Romanserie „Zwischen den Meeren“ von Lena Johannson. Und von Heinrich Hermann Dahlström, der als der Vater der künstlichen Wasserstraße gilt. Er war der wichtigste Initiator und Planer des Kaiser-Wilhelm-Kanals – was fast vergessen ist. Seine Urenkelin Merve Giebler hat alte Aufzeichnungen auf dem Dachboden gefunden und ruft die Verdienste des Hamburger Reeders in einem Buch in Erinnerung. Dies diente Lena Johannson als wichtige Quelle für ihre Roman-Trilogie über den Bau des Kanals. Eine ihrer Romanfiguren ist die Dahlström-Tochter Mimi. Meehr-Lesen stellt Fiktion und Wirklichkeit in einer vierteiligen Serie vor.
- Teil 1: Mit Lena Johannson auf Spurensuche
- Teil 2: Dahlström alias „Kanalström“
- Teil 4: Der Kanal heute, Feiern und Museen
Dachbodenfund mit Folgen
Das Material hatte viele Jahre in einer Kiste auf dem Dachboden gelegen: Fotos der Familie Dahlström, Tagebuchaufzeichnungen, Briefe – und damit verbunden Erinnerungen an den Bau des Nord-Ostsee-Kanals. Ilse Neufeldt, die Enkelin von Heinrich Hermann Dahlström, hatte die Aufzeichnungen der Familie archiviert. Aber erst vierzig Jahre, nachdem sie ihrer Tochter das Material anvertraut hatte, konnte sich Dahlström-Urenkelin Merve Giebler aufraffen, alles zu sichten.
„Es war sehr schwierig zu lesen“, erzählt sie. Aber im Lockdown hatte sie viel Zeit. Mit der Lupe entzifferte sie die alte Schrift und diktierte die Aufzeichnungen ihrem Mann. Als Buch im Selbstverlag erschienen, erweist sich die Familiengeschichte als ein kleiner Schatz.

Klappentext des Dahlström-Buches*
Nach sieben Jahren harter Vorarbeit war der Hamburger Reeder Hermann Dahlström der erste, der 1886 sowohl Kaiser Wilhelm I. als auch Otto von Bismarck von dem Bau des NOK überzeugte – selbst gegen den Widerstand von Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke.
An seiner Seite war stets seine Frau Dorothea, die ihm den „Rücken freihielt“, ihn in seinem Vorhaben bestärkte und bei Widrigkeiten beruhigte. Warmherzig und mit Fingerspitzengefühl sorgte sie – ganz im Geiste der Biedermeierzeit des 19. Jahrhunderts – für einen ebenso stabiles wie behagliches Familienleben für die Kinder und ihren Hermann. Nur ihrem Tagebuch vertraute sie ihre heimlichen Sorgen um den nervlich überreizten Ehemann an. Leider hat Dorothea Dahlström die Grundsteinlegung für den NOK nicht mehr miterlebt. Sie starb mit nur 31 Jahren am 14.7.1885 und hinterließ ihrem Mann fünf kleine Kinder. Ein Schicksal, dass niemanden kalt lässt.
Die beiden ältesten Töchter Maria und Elsabetha Dahlström schufen durch ihre schriftlichen Aufzeichnungen ein außergewöhnliches Dokument selbsterlebter Zeitgeschichte.
Familien-Stammbaum
Heinrich Hermann Dahlström, geb. 20.04.1840, gestorben 05.05.1922
Verheiratet mit Dorothea Meyer, geb.30.06.1854, gestorben 14.07.1885
Kinder:
Maria genannt Mimi, verheiratete Leinweber, geb.15.04.1873, gestorben 12.01.1967
Elsabetha Joanina genannt Else, geb.22.04.1874 in Hamburg, gestorben 13.02.1965 in Kitzeberg
Else heiratet den Kieler Unternehmer Hans Neufeldt.
Kinder: Gredela, Hans, Kurt und Ilse
Ilse Neufeldtverheiratete Kassner war die Mutter von Merve Giebler

Diese Aufzeichnungen, kombiniert mit zahlreichen Fotos aus dem Familienarchiv, geben einen Einblick in das Leben dieser Hamburger Familie. Es beginnt mit den Ursprüngen in Hamburg.
Im Selbstverlag herausgegeben, können Gestaltung und Aufbau nicht mit professionellen Werken mithalten, aber die Wiedergabe der Briefe, Tagebücher und Biografien ist ein Fundus an großartigen Informationen.
Daher erwies sich die Bekanntschaft mit Merve Giebler als Glücksfall für die Schriftstellerin Lena Johannson. „Sie hat mir wahnsinnig viel Material zur Verfügung gestellt, was ein großes Geschenk ist.“ Denn im Mittelpunkt der Johannson-Romane stehen vier Frauen aus Westerrönfeld, Kiel, Brunsbüttel – und Mimi Dahlström. „Maria, genannt Mimi ist ihrem echten Vorbild möglichst realistisch nachempfunden“, sagt Lena Johannson. Was Dahlström-Urenkelin Merve Giebler natürlich sehr freut.

Maria genannt Mimi
Maria Dahlström war bereits 53 Jahre alt, als sie ihren Erlebnisbericht „100 Jahre Familiengeschichte“ begann. Von 1926 bis 1934 schrieb sie an ihrer Biografie, die in dem Buch von Merve Giebler enthalten ist. „Intelligent, einfühlsam und oft zum Teil humorige Art, schildert sie das Leben der Hamburger Familie“, schreibt Giebler. Ebenfalls enthalten: Elses Abschrift der Tagebuchaufzeichnungen ihrer Mutter Dorothea. Darin ist zwar über Abläufe der Kanalplanungen zu erfahren, aber über die menschliche Seite Hermann Dahlströms.
Familie Neufeldt
Else Neufeldt heiratete am 25. November 1903 den Kieler Unternehmer Hans Neufeldt.
„Hans Adolph Neufeldt (* 12. September 1874 in Elbing; † 17. März 1963 in Heikendorf) war ein deutscher Ingenieur. Er schuf das einst größte elektrotechnische Unternehmen der Provinz Schleswig-Holstein. Außerdem unterstützte er zahlreiche Erfindungen in der Unterwasserschall-, Regel- und Fernübertragungstechnik während ihrer Entwicklung zum marktreifen Produkt.“ (Quelle: Wikipedia)

Else Neufeldt lebte mit Familie in Kitzeberg (Gemeinde Heikendorf bei Kiel), wo auch Hermann Dahlström öfter zu Besuch kam.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann die Erschließung dieses ehemaligen wassernahen Waldgebietes als Villenkolonie. Die Erwerber mussten mindestens 2000 Quadratmeter Land kaufen, um eine Baugenehmigung zu erhalten. Nachdem 1904 der entstandene Ort auch durch ein eigenes Licht- und Kraftwerk versorgt wurde, avancierte Kitzeberg ein Jahr später zum privilegierten Wohnort für die begüterte Kieler Gesellschaft. 1920 kam Kitzeberg mit weiteren Gemeinden zu der Gemeinde Heikendorf. (Wikipedia)
Ihre Tochter Ilse sammelte die Berichte von den Frauen ihrer Familie. Und sie verfolgte hartnäckig ein Anliegen. 1995, als sie 90 Jahre alt war, hatte sie es erreicht:
„Es gelang ihr, dass anlässlich des 100-jährigen Kanal-Jubiläums eine Ehrentafel angefertigt wurde, auf der der Name Heinrich Hermann Dahlström neben dem von Fürst Otto von Bismarck und dem Kanalerbauer Otto Baensch in goldenen Lettern steht. Damit erfüllte sich ihr Herzenswunsch, […] Gerechtigkeit für ihren Großvater Hermann Dahlström herzustellen.“ Diese ist an der Kieler Kanalschleuse angebracht.
Ihre Tochter Merve Giebler hat mit der Zusammenstellung und der Herausgabe des Buches die außergewöhnliche Familiengeschichte der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
* Das Buch
„Hermann Dahlström – Vater des Nord-Ostsee-Kanals“, Hundert Jahre Familiengeschichte der Familie Hermann und Dorothea Dahlström im Hamburg des 19. Jahrhunderts. Nach Erinnerungen von Maria Dahlström-Leinweber und Else Dahlström-Neufeldt / Textbearbeitung von Merve Giebler. Zu bestellen bei mervegiebler@yahoo.de für 26 Euro